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Reise von Blog zu Blog

Eine Internetreise von Blogrolle zu Blogrolle habe ich heute nachmittag gemacht. Schon ewig her, seit ich das das letzte Mal getan habe. Ich kann mich gar nicht mehr erinnern.

Ich weiss noch, dass ich früher oft enttäuscht war, was für sperrige Blogs es gibt. Sperrig in dem Sinne, dass wohl ein sperriger Mensch dahintersteckte. Mit den wenigsten konnte ich. Heute - mindestens 10 Jahre älter - weiss ich aus Erfahrung, dass es sehr viele Menschen gibt, die sehr anders sind als ich. Ich meine nicht durch irgendwelche Krankheiten, sondern durch ihre Grundeinstellung zum Leben. Nörgelei z.B. schreckt mich ab.
Es ist aber nicht nur das, was Blogs so manches Mal schwer macht zu lesen (ich nehme meines davon nicht aus).

Vor kurzem - am 27. Dezember 2020 - bin ich auf einen Insta-Post von Deutschlandfunkkultur gestossen, der Susanne Scharnowski, eine Wissenschaftlerin, zitiert:
Zu Hause bin ich geschützt und da habe ich auch noch Gestaltungsmacht. Draußen entzieht sich viel meiner Kontrolle. Ich habe viele Regeln, die ich beachten muß. Aber zu Hause bin ich auch frei.

In den Blogs trifft dieses Innen auf das Außen. Das kollidiert. Das eigene Blog wird oft als Wohnzimmer empfunden. Auf gewisse Art ist es das auch, auf gewisse Art wieder nicht. Es ist eine Gratwanderung zwischen kleiner, überschaubarer Welt (Freiheit) und dem offiziellen Anzug für Draußen (Regeln).

Ein paar Blogs habe ich rausgefischt und abonniert. Ich lasse mich überraschen, wie sie sich entwickeln.

70 Bücher in 9 Monaten

Corona haben wir hier in Europe seit ungefähr März 2020 (Mitte März kam der erste Lockdown). In dieser Zeit hat Tony Mortimer, seines Zeichens Songwriter und früher Bandmitglied von East17, eine neue Welt für sich entdeckt: Die Welt der Bücher! Er ist knapp 50 Jahre alt, hat vorher nie ein Buch zu Ende gelesen, aber jetzt frisst er sie regelrecht. 70 Bücher in dieser Zeitspanne, das ist eine stolze Zahl! Nicht etwa nur dünne Dinger, der "Herr der Ringe" und "Harry Potter" waren auch dabei. Er schreibt nun auch sogar selbst ein Buch. Und geht da ernsthaft dran, lässt sich beraten und so. (Durch sein Songwriting hat er ja quasi Übung im Kurzgeschichten schreiben, denke ich. Das baut er nun aus.)

Ich habe die Nachricht im Radio gehört (im Guardian steht sie ausführlicher). Da wollten sie von den Zuhörern wissen, was sie denn zur Zeit so lesen. Hat sich doch glatt ein Zuhörer gemeldet, auch knapp 50, der auch dieses Jahr so richtig durchstartet mit dem Lesen (allerdings nicht so exzessiv wie Tony Mortimer). Meint er, für die Aha-Momente in seinem Leben sorgen jetzt Bücher, früher war das immer das Radio (oho, das war ein Moment des Staunens für mich, denn das Gerede im Radio habe ich immer für Geplapper gehalten, selten horizonterweiternd).

vergnügliche Lektüre: "Der Sommer mit Pauline"

Der Sommer mit Pauline von Ivan Calbérac ist ein vergnügliches Buch mit dem 15jährigen Émile als Protagonist. Wie es schon im Titel heisst, ist die um ein Jahr jüngere Pauline wichtig, Émiles erste Liebe.

Es ist ein hartes Kontrastprogramm zu meiner vorigen Lektüre "Laufen" von Isabel Bogdan. Die (Wort-)Witze jagen sich nur so, und jedesmal muss ich innehalten. Bin ich immer noch den langsamen Flow von "Laufen" gewöhnt? Wo bringt der Autor diese Witze alle her? Hat er ein Team hinter sich? Schreibt er jeden Geistesblitz auf eine Karteikarte, sammelt sie im Karteikasten und wenn er ein neues Buch schreibt, guckt er dann da drin nach? Es sind keine platten Witze, sonst würde ich drüberlesen, nicht innehalten.

Auf S. 84 etwa, Émile sinnt über Einsamkeit nach:
Paare können sich wenigstens scheiden lassen und der zweisamen Einsamkeit offiziell ein Ende machen, aber beim Familienleben ist selbst der Europäische Gerichtshof machtlos.

Kurz vorher - ein paar Zeilen oben drüber, auf derselben Seite - sinnt er über eine ältere Lehrerin nach:
Hoffnung stirbt zuletzt, aber bei ihr hängt die Hoffnung schon am Beatmungsgerät.

So geht das zu in dem Buch, Émile ist ein offener, lebensfreudiger Mensch, der begierig seine Umwelt beobachtet und sich mit ihr auseinandersetzt. Reichlich Stoff zum Auseinandersetzen bekommt er mit Pauline, seiner ersten Liebe, da sie aus einem völlig anderen Elternhaus stammt als er. Und so nimmt der Roman seinen Lauf.

Es ist anscheinend auch verfilmt worden, doch das ging an mir vorbei (ich lese zwar immer die Plakate an unserem Programmkino im Vorbeifahren, wenn ich in der Strassenbahn sitze, aber ich bin nicht so die Kinogängerin). Ich kann also zur Verfilmung nichts sagen. Aber das Buch ist gut. Ich kann nur nicht einordnen, ob das ein Erwachsenenbuch über Jugendliche oder ein All-age-Buch ist.

Nachtrag vom 05.03.2020:
Mir war das mit dem Klamauk doch zuviel. So habe ich die letzten 50 Seiten nur überblättert und heute das Buch wieder abgegeben.


schöne Lektüre: "Laufen"

Laufen ist ein schöner Roman über Trauerbewältigung, geschrieben von Isabel Bogdan. Die Protagonistin startet ein Jahr nach dem Suizid ihres Lebensgefährtin das Projekt "Laufen". Laufend und dabei im inneren Monolog stehend, von den zarten, holprigen Anfängen des Wiedereinstiegs bis hin zu längeren Läufen von einer Stunde, kommt sie immer mehr ins Leben zurück.
Ein berührender Roman, ohne rührselig zu sein, so erinnert er doch an eigene Trauermomente und -phasen und dass es eben okay ist, zu trauern, nicht immer parat zu stehen, zu funktionieren. Zum Leben gehört die Trauer dazu.

destruktive Lektüre

Oder: Wie verderbe ich es mir am Besten mit meinen Mitmenschen?

Der Klappentext verspricht "natürlich" anderes:
Nett sein war gestern, es ist Zeit für die Rhetorik-Disziplin der Extraklasse – schwarz, provokant und garantiert erfolgreich, um sich mal ganz egoistisch durchzusetzen, ob in Beruf oder Familie.


Hier müsste der Verlag - ähnlich wie bei Medikamenten das: "Bei Risiken und Nebenwirkungen fragen Sie Ihren Arzt oder Apotheker" - schreiben: "Bei Risiken und Nebenwirkungen fragen Sie Ihren Psychotherapeuten, Seelsorger, ..."

Es geht um das Buch "dunkle Rhetorik" von Wladislaw Jachtchenko, als Taschenbuch erschienen bei Goldmann (ich habe es oben verlinkt).

Eine Anweisung, wie man sich den letzten liebenswerten Rest in sich selbst verdirbt.